Wenn ich durch Beerta fahre muss ich immer an Achim denken.
Ja das klingt sonderbar, aber in meiner Fantasie möchte ich Achim, einen Ort vor Bremen und Beerta, ein Örtchen, das zwischen Niueweschans und Oudeschans in Nordholland liegt immer zusammenführen. Sie sollen, wie in jedem guten happyend natürlich heiraten und ich erwarte gespannt den Satz: “Achim aus Beerta, willst Du Beerta aus Achim zu Deiner Frau nehmen.”
Wenn die freundliche Schaffnerin der deutschen Bahn durchsagt: “Sehr geehrte Damen und Herren, in Kürze erreichen wir Achim.”, werde ich immer ein bisschen melancholisch. Sie macht vor “Achim” eine kleine Pause, so als sei sie selbst erstaunt. Für Achim wurde extra ein Bahnhof gebaut mit schönen blau eingefassten Schildern, auf denen Achim steht. Jedes mal wenn wir in Achim vorbeikommen halte ich Ausschau nach diesem Achim. Er muss ein einsamer Mensch sein, dass die Deutsche Bahn extra auf ihn aufmerksam macht, sonst gäbe es vielleicht noch Haltestellen für Hans-Ulrich, Peter, Sebastian. Wir erreichen Achim. Achim ist wie immer menschenleer. Achim selbst steht sicher immer wenn ein Zug kommt mit einem verwelkten Blumenstrauß an seiner Station und wartet. Auf Beerta.
Beerta, die zusammen mit Oudeschans auf einem Ausfahrtsschild auf der A7 von Groningen steht, wartet auf Achim. Und wenn Achim die alte Chance nicht wahr nimmt kann er ein paar Kilometer später noch die Nieuweschans ergreifen und es noch einmal mit Beerta probieren…
Das Holländische ist oft wirklich phonetisch und nicht unähnlich dem Bayerischen, oder Alpenländischen. Ich kann mir gut vorstellen, wie ein Garmischer vor der Olympiaschanze steht und sagt: “Is des a Oudeschans!”
Umgekehrt fordert die holländische Schaffnerin alle Mitreisenden im Arriva kurz vor Groningen auf: “Bitte vergessen Sie nicht, ihr Gebäck mitzunehmen.” Sie sagt wirklich Gebäck, denn Weihnachtsplätzchen gibt es in Holland nicht, wohl Spekulatius das ganze Jahr über, aber nicht die heimische Weihnachtsbäckerei. Und die Schaffnerin geht anscheinend davon aus, dass alle Fahrgäste, die von Leer nach Groningen fahren, Weihnachtsgebäck mit sich führen.
Bei der Gelegenheit möchte ich noch die polyglotte Ansage der Bayerischen Oberlandbahn erwähnen, im breitesten Chiemgauerisch: “Sänk ju vor träwelling wis se Bayerische Oberlandbahn”. Ich bilde mir ein, dass das Mädchen, das diese Ansage im kehligen Chiemgauer Bayrisch eingesprochen hat, am Ende einen Jodler oder Juchzer unterdrücken musste.
In Holland gehört es ja zum guten Ton, dass jeder englisch und deutsch kann, man kann dort kaum holländisch lernen, sicher nicht in den Großstädten. Am Platteland ist es dann schon besser, da kann die Bevölkerung schlichtweg keine Fremdsprachen. Zur Grenze hin erschrecken mich des Deutschen unkundige Holländer allerdings immer wieder mit völlig unerwarteten Ausrufen wie: “Hände hoch oder ich schieße” und “halt, stehen bleiben”, “Achtung stillgestanden”. Das sind die drei Sätze deutsch, die sie können und sich noch aus der Fernsehserie “Bonanza”, die sie im ARD ab dem 13.10.1962 sehen konnten, gemerkt haben.
Naja, es gibt auch Deutsche, die, wenn sie einem Franzosen gegenüberstehen stolz: “Oh làlà ” sagen, bei einem Spanier “Hasta la vista, Baby” rufen und bei Russen ” Nostrovia” mit tief verstellter Stimme rasseln…
Ich persönlich versuche so viele eingeholländischte deutsche Worte wie möglich zu verwenden:
“Stefan is überhaupt sowieso total Einzelgänger”, ist ein holländischer Satz.
Man denke intensiv an das S von Rudi Carrell und betone jedes Wort auf der Endsilbe. Falls jemand im Stande ist, einen sinnvollen Satz aus anderen im Niederländischen gebräuchlichen Worten:
“Aha-Erlebnis, volkstümlich, Blitzkrieg, Fingerspitzengefühl, Donnerwetter, hineininterpretieren, Angstgegner, jawohl, ins Blaue hinein”, zu bilden erfährt er meine tiefste Bewunderung. Also ich passe.
Es gibt natürlich auch Holländer, die so perfekt Deutsch können, dass ich nur staunen kann. Mein Schwager Jan ist so ein Fall, seit vier Jahren kenne ich ihn, er benutzt extra komplizierte Deklinationen und macht keine Fehler.
Bis auf das erste Mal, als ich ihn sah. Wir saßen mit der ganzen Familie am Esstisch, Jan erhob das Glas zur Begrüßung und sagte zu mir gewandt in akzentfreiem Deutsch: “Leb wohl”.